Festrede zum 20. Stifungsfest:

 

Sehr verehrte Gäste,

sehr verehrtes Präsidium,

hochverehrte Damen,

meine lieben Bundesbrüder,

 

 

 

als ich die Bitte vom Karsten bekam, die Festrede zu unserem 20. Stiftungsfest halten zu dürfen, habe ich mich zuerst gefreut. Kurz darauf beschlich mich die beklemmende Frage, bist Du nun schon so alt geworden, als dass man Dich zum Festredner über einen schon fast historisch zu benennenden Zeitraum wählt?

 

Dem Alter entsprechend trage ich Brille und muss vom Blatt ablesen, habe also fast alle Voraussetzungen, um einen würdigen Festredner abzugeben. Wie doch die Zeit vergeht, neulich noch mit dem Beinamen „Ausguss“ ehrenhalber versehen worden, heute blicken wir nach 20 Jahren auf diese Zeit zurück…

 

Jeder wird nun erwarten, dass ich diese Zeit mit dem genauen Datum, oder Uhrzeit benennen werde, das ist mir leider nicht möglich, zum Einen befinde ich mich immer noch im Stadium des aus „Kisten-Leben“ kurz nach dem Umzug und zum Anderen habe ich vergessen, in welchem Karton die Verbindungsunterlagen sind. Auch ein Anzeichen dafür, dass man als Redner geeignet ist, wenn eine gewisse Senilität in Ansätzen vorhanden zu sein scheint.

 

Dieses Manko wird aber dadurch hoffentlich kompensiert, als dass ich die Wege zur Stiftung unserer Verbindung aus meiner Sicht der Dinge darzustellen beabsichtige, somit mich nicht mit eigentlich langweiligen Datumsangaben plagen muss.

 

Ich werde sie Gedankenprotokoll nennen.

 

Interessant, spannend und nicht minder gefährlich waren die ersten Schritte für mich auf dem Weg zur Burschenschaft Jenensia, fielen sie doch in die Zeit, wo sich ein ganzes Land anschickte in die Auflösung zu gehen. Für die einen der beschleunigte Weg in den Abgrund, für andere der Wegscheid in eine freiere, aber nicht leichtere Zeit.

 

Und genau an dieser Wegscheide werden wir in Kürze wieder ankommen.

 

Selber bin ich mit dem Verbindungswesen in Berührung gekommen, als das einer der Großväter Jenenser Pauliner war, einer der Onkel Münchner Rhenane. Dadurch bekam man schon mal ein Kommersbuch, oder für mich damals als Schuljunge „Schärpen“ in die Hand, die in Farbgebung und Verarbeitung sehr interessant schienen und das Begehren erzeugten, mehr darüber zu erfahren. Sicher nicht unbedingt hinter vorgehaltener Hand, wohl aber in behüteten Räumlichkeiten der Familie. Gleichsam einem Bierglas unter geöffneten Hahne, wurden die Artefakte, Studentika immer mehr, man behütete sie sehr wohl und pfleglich, stammten sie doch aus einer Zeit weit vor dem ersten Weltkrieg.

 

Später ging ich, wirklich arglos damit auf Veranstaltungstour und erarbeitete einen kleinen Vortrag über studentische Traditionen und Verbindungsleben in Jena, den ich auch, und natürlich dort, im geliebten Rosenkeller vortrug. Die Beteiligung war zufriedenstellend, man trank dabei Bier, ich hatte echte, authentische Studentika dabei, die ich rumgehen ließ. Dabei auch ein Paukschläger, der schon mit scharfer Mensurklinge versehen war. Er hatte die Bombennächte der Innenstadt auf einem Boden wohl überstanden.

 

Nun berichtete ich über das Gehabe um’s Studieren in Jena, harte mir einige kleine Episoden recherchiert und die zuhörenden „modernen“ Studenten hörten andächtig zu, aber eigentlich nicht glaubend, was der Costa da so alles erzählte. Dabei auch die Bestellten Zuhörer der letzten Fakultät, die der Schlapphüte, wie sich später herausstellte. Sie folgten noch ungläubiger den Ausführungen, kam es doch konterrevolutionären Gedankenguts sehr nahe…

 

Jedoch ergab sich daraus später nichts, wohl aber aus diesem Abend, denn ich wurde beim Bier direkt von einem Medizinstudenten angesprochen, der einmal meinen Namen schon mal gehört hatte, Vater und Onkel kannte und so, diesmal unter vorgehaltener Hand, mich zu einem Festkommers der Jenenser Salanen im Fürstengraben, genauer im Keller des Inspektor-Hauses zwei Wochen später einlud.

 

Ich bekam sehr genaue Anweisung, was ich als Gast zu tragen hätte, so im Besitz einer Studentenmütze und eines Bandes, die tragen sollte, allerdings verdeckt bis zum Erreichen des Festraumes.

 

Und nun schildere ich Euch als Meilenstein quasi diesen Abend, war er doch für mich wegweisend geworden.

Wir betraten den Festraum, einem schmalen Kellerraum, von dem links und rechts weitere Gänge abgingen, längs gestellte Tische, gedeckt mit weißen Papiertischtüchern, ausgelegte, gewobene Geschenkbänder in den Farben der Stadt, blau, gelb, weiß, brennende Kerzen und ausgelegte Efeuranken. Bier gab es aus Steinkrügen, die aus Flaschen der Rosenbrauerei Pößneck gefüllt wurden. Die Auffüllenden waren die Füchse der Salanen. Dann erschient das Präsidium, drei Chargierte, eventuell mit einem Schläger tragend, oder keinem, das weiß ich nicht mehr genau.

 

Fest stand, dass ich zum ersten Male Lieder aus dem allgemeinen deutschen Kommersbuch in einer Stimmgewaltigkeit hörte und mitsang, dass mir heute bei diesen Worten noch, ein Schauer den Rücken herunterläuft. Dazwischen Colloquium, aber nicht etwa wildes Biersaufen, sondern  geordnetes. Jede Runde als Salamander. Nach jedem Gang wurde ein Knoten in eine vorher ausgehändigte Kordel geknüpft. Nach dieser Kordel kam ich auf 17 x 0-33ßiger Pößnecker

 

Nun ging dieses Schauspiel unter Tage weiter, denn es folgte ein Fuxenritt des FM’s der Salanen mit 3 Füchsen unter Beifall, rittlings auf Lehnstühlen in den Kommersraum… Das Ganze 1988 in Jena, in einem schönen Keller, keine 500 Meter entfernt von der Stasizentrale!!!! Dann plötzlich erloschen die Kerzen, die Präsiden forderten ruhig dazu auf, den Raum mittels der entzündeten Taschenlampen zu verlassen, bis sich der Sauerstoffgehalt im Gewölbe wieder dem lebenstauglichen Niveau angepasst hätte.

 

Die Festgesellschaft verließ die Gewölbe, man stand im Hofe und erleichterte sich, typisch nach Jenenser Art und Weise an den Mauern, herrlich in Anbetracht der selbst gebastelten Knoten der Kordel…

 

Nach einiger Weile bot man sich wieder an, in den Gewölben zu verschwinden und so dauerte das ganze Spektakel bis in den frühen Morgen gegen 3:00h hinein, dazu sei noch gesagt, dass alle Biere als Salamander betrunken wurden.

 

Nun stand endgültig fest, irgendwie einer Verbindung näher zu kommen. Dieses Vorhaben wurde dann nach relativ kurzer Zeit insofern beschleunigt, als dass ich in meinem geliebten Rosenkeller wiederum eine Info, schon fast konspirativ gesteckt bekam, dass sich so etwas wie Verbindungsgeschehen in der Göre demnächst entwickeln werde und ob ich Lust hätte mich da einzubringen…

 

Und so betrat ich eines Tages die Göre durch den Haupteingang und fand mich später in einer sehr interessanten Gesellschaft auf dem Speicher der Göhre wieder.

 

Wie kam man sich dabei vor?

 

Wie beim Eintritt in eine andere Welt, in eine Welt, mit der man sonst nur mit Eintrittskarte kam und nun durfte man am Philisterium vorbei auch noch auf den Speicher des denkwürdigen Hauses. Dorthin, wo eine Gesellschaft wartete, etwas zu versuchen, was es eigentlich nicht gab. Eine Verbindung gab es nicht, durfte es nicht geben, schlichtweg einen Verein aufbauen… nun ja…

 

Doch an den vielen Reglementierungen des Staates vorbei eine Interessengemeinschaft, den Jenaischen Burschenschaftlichen Kreis aus der Taufe zu heben, war und ist was Besonderes gewesen. Obwohl es damals noch kaum jemand richtig begriff, wollte, sich es sich selbst nicht vollends vorstellen konnte….

 

Und so sind wir an dem Punkt schon angelangt, an dem die Wiege unserer Verbindung stand.

 

Ich erinnere mich noch an den Moment, wo der Zirkel und die Satzung vorgestellt wurden, von dort ging es in riesen Sprüngen weiter, bis zu dem Punkt, wo wir aktiv aufgefordert wurden, gleich richtig durch zu buchstabieren und eine Verbindung zu gründen.

 

Parallel in dieser Zeit fanden die größten Umwälzungen in unserem aller Leben statt. Wir merkten, eigentlich Gott sei Dank gewaltlos, wie die alten Staatsfesten zu wanken begannen, wie sich an Universitäten und Hochschulen, in den Betrieben in der Gesellschaft, die Spreu vom Weizen zu trennen begann. Man bekam das Gefühl, es werden möglicherweise Zeiten kommen, in denen eigene Kraft, eigene Intelligenz, eigener Wille zum Besseren mehr zählen, als Parteibücher, oder Zugehörigkeiten zu Gesellschaftlichen Organisationen.

 

Ich wurde an der damals noch Technischen Hochschule Chemnitz von einem ML-Professor gefragt, weil ich doch bekannter Maßen schon im „Westen“ war, was dort Philosophie-Professoren verdienen könnten, was er nicht wusste war die Tatsache, dass die damalige Bundesrepublik genau auf solche Professoren geradezu gewartet hat. Sie gingen in diesen schnellen Zeiten sehr schnell klanglos in den Boden der anonymen Funktionäre unter.

 

Doch es gab auch recht brenzlige Situationen, die man nicht vollends absehen konnte, doch im Nachhinein möchte ich sie erwähnen, nicht ohne einen gewissen Stolz, denn es begab sich zu der Zeit, in der sich die Bürgerrechtsbewegungen in der Stadtkirche St. Michael vorzustellen begannen.

 

Ich arbeitete damals im Mikrobiologischen Institut am Beutenberg, als an einem Freitag-Mittag die Sirene ging und das Zeichen gegeben wurde, dass sich alle Kampfgruppenangehörigen zu treffen hatten…

Es war diese sauer-bittere Pille die ich zur Aufnahme in dieses Haus mit schlucken musste und sie schluckte, weil man zum Einen den Job wollte und zum Anderen man leider Gottes Ruhe bekam, vor weiteren Anmachversuchen des Staates.

 

Und so wurden wir einzeln in den Raum des damaligen Direktors, bzw. Fachgruppenleiters gebeten, die Sekretärin mit einem sehr großen Fragezeichen im Gesicht machte den Empfang und öffnete die Tür, mit einem kleinen Klaps auf die Schulter und schloss wieder.

 

Drinnen die unverblümte Frage eines Kommandeurs, im Beisein des Parteisekretärs und zwei Schlapphüten, ob man bereit sei, mit der Waffe in der Hand am Samstag vor der Kirche der Konterrevolution Einhalt zu bieten?

 

Und was mache ich, nach kurzem Überlegen?

Gebe zu Antwort, dass ich nicht kann, weil zum Einen selbst in der Kirche und zum Anderen ich nicht mit der Waffe in der Hand meinen Freunden, Verwandten, vielleicht Eltern gegenüberstehen möchte…

 

Kurzes, verwundertes Schweigen, dann die Auskunft, man habe meine Antwort verstanden und sie würden sich bei mir melden. Fragezeichen bei mir und plötzlich eine ungeheure Angst vor der eigenen Courage bekommen.

 

Ich wurde durch die zweite Tür wieder entlassen, rannte umgehend zum meinem Abteilungsleiter, von dessen Gesinnung ich 100%ig wusste, erzählte ihm vom Geschehenen und bat um sofortige Freistellung an diesem Tage. Der Weg nach Hause kam mir vor wie eine Ewigkeit, denn ich wollte mich nur noch mitteilen, ich hatte urplötzliche Angst vor den Ausweisträgern des MfS, die vielleicht kommen könnten. Bei meinen Eltern bekam ich ernste Blicke und gleichermaßen Hochachtung, verbunden mit einem sehr großen, guten selbstgebrannten Schnaps…

 

Doch was passierte im Hintergrund. Die Veranstaltung in der Stadt verlief ohne Probleme, ich bekam von Kollegen am Montag die Hand geschüttelt, unzähliges Schulterklopfen und Dankesworte, verbunden mit der vielmündigen Aussage, wenn mir etwas im Job passieren würde, gäbe es schon Pläne, wie man mir gemeinsam helfen wollte – und den Anderen „Verweigerern“.

 

Wie weiß ich bis heute nicht, doch mit meinem Nein konnte ich einen Grundstein unbewusst legen, dessen Gefüge dazu führte, dass 14 Tage später die Hundertschaft aus dem Institut am Beutenberg, dem WTI und dem Glasofenbau Jena Ihre Existenz verlor, weil keiner mehr hinging, es gab nur eine zaghafte Frage, ob man bereit sei, mit die Umkleidebaracke, das Headquarter auf dem Gelände des HKW’s mit zu räumen…

 

Kläglicher Versuch.

 

Warum erwähne ich das? Weil wir in unserer Satzung auch stehen haben, das Prinzip der Wehrhaftigkeit, doch sicher nicht die Wehrhaftigkeit gegen eigene Freunde und Familienmitglieder für diesen SED-Staat.

 

Und so reihte sich wieder ein Steinchen in dieses große Mosaik ein, auf dessen Boden auch unsere Verbindung steht.

 

Gestiftet an einem wunderbaren, sonnigen Vorfrühlingstag auf dem Fuchsturm. Und so wurde gerade an den drei übermächtigen Verbindungen dann am Platze nicht unbedingt vorbei, aber mit Ihrer Hilfe auch unsere liebe Verbindung gegründet. Wir bekamen die ersten Füchse, es wurde an der Klinge ausgebildet, wir bezogen eine eigene Etage, wir wurden eingeladen. Wer mag sich nicht zum 175.zigsten Jubiläumskommers der DB in Berlin im CCC erinnern? Großer Bahnhof für uns, ein vielhundertfacher Gesangskörper, mit einem Präsidium, dessen Anzahl an Chargierten manche Mitgliederzahlen von Vereinen mehrfach übertraf…

 

Man hofierte die damaligen neuen Verbindungen, das tat wohl, wenngleich auch viel auf unserem Rücken später ausgetragen wurde….

Es ist Geschichte.

 

Und zu dieser Geschichte gehört leider auch, dass sich später doch die Ansichten, die politischen Grundhaltungen begannen zu differenzieren, was letztlich den Bund zerriss.

 

Es begann der leidvolle Zersetzungsprozess bis hin zur Konsolidierung auf einen kleinen Stamm der Getreuen. Und eben diese Getreuen sind es, die heute hier zusammengekommen sind, um trotz alledem den 20. Stiftungstag würdig in überschaubarer Runde zu begehen.

 

Es hat mich immer stolz gemacht, hierzu zu zählen, einer von uns zu sein. Vielleicht werden wir keine großen geschichtlichen Spuren hinterlassen können, wohl aber Spuren in uns selbst, Spuren auf die wir stolz sein können und sollen.

 

Somit komme ich mit einer halben voraus auf unsere liebe 20 Jahre junge Burschenschaft Jenensia.

 

Vivat, crescat, floreat Jenensia

 

 

Jena, den 19.02.2010